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Über:leben – Das aktionstheater ensemble
Theater, das ist immerzu ein Lebensentwurf: Momentaufnahmen aus dem Leben, die sich aus den Versatzstücken des Alltags zu einem Bildband des Empfindens formen – sei es um der moralischen Versuchsanordnung willen, sei es aufgrund seiner ästhetischen Wundertüte, aber um eines geht es dabei immer: die Schlachtfelder des Lebens.
Das aktionstheater ensemble wagt nun den Spagat, diese Schlachtfelder nicht nur aufzuzeigen und wirksam nachempfinden zu lassen, sondern vielmehr den Erfahrungsraum aufzustoßen, was denn diese Schlachtfelder beim Einzelnen zurücklassen: Das Geworfensein auf sich selbst, in einer Welt der Egozentriertheit, die eigentlich keinen Platz für so viele Egos hat – Auge in Auge mit der eigenen Fehlbarkeit. Und damit liefert dieses Theater auch mehr oder minder Überlebensstrategien, die bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt sind: Ausbruchsversuche, die sich ob des gesellschaftlichen status quo zwischen Heim und Heimatlosigkeit, Solidarität und Solitär, Ich-sein und Anders-sein regelrecht selbst zementieren.
Stücke des aktionstheater ensembles zu erfahren, ist immer auch eine Rückkehr zum ältesten Drama der Menschheit: man selbst zu sein und gleichzeitig durch die Anderen mitbestimmt zu werden – eine Aporie des Empfindens.
Das Ich und das Wir
„Nur die Radikalität ist Intensität“ heißt es in Ulysses Roadmovie (2010/2011), und umschreibt damit eigentlich passend die programmatische Ausrichtung dieser Gruppe: Radikal ist das Kalkül, feinfühlig die Ausführung. Am Ende geht es immer um intensive Präsenz, die die herkömmliche Repräsentanz um jenes Grad der Dringlichkeit übersteigt, die der Hunger nach Anerkennung mit sich bringt: das Ringen um Identität.
Regisseur Gruber ist ein Philanthrop, der für den Anspruch eines Menschlichen an die Grenzen des Menschseins führt – er kartographiert die Gegenwart so, wie politische Allmachtfantasien und neoliberaler Fortschrittswahn einer sogenannten Wohlfühlgesellschaft sie geschaffen haben. Allerdings ohne sich im Nährboden geißelnder Moralitäten zu verlaufen, die Idee ist eine andere: den Menschen zu filtrieren, ihn bis auf die kleinsten Fasern bloß- und auszustellen. Seine Dokumentarlandschaften lassen es erst gar nicht zu, in Selbstgefälligkeit abzugleiten, um sich als Alternativen zu behaupten: Sie sind rein Ideenträger einer Kultur der Saturiertheit; einer Gesellschaft, die sich vor lauter überbordendem Egoismus eigentlich selbst ungemein satt hat. In gewisser Weise ist sein Theater sogar ein Theater des Amoralismus, das Geschichte, Gott oder Ideologie mit einer Universalformel gleichsetzt: der Utopie. Und das Medium bleibt der Körper.
Das aktionstheater ensemble hat immer mit Körper zu tun: als Sinn- und Abbild, als Wahrnehmungsträger, als Fetisch, als Ware – Der Körper wird bestimmendes Element, das in seiner Wirksamkeit auch weit über postdramatische Auflösungstendenzen hinausreicht: Der Körper lässt sich bei Gruber eben nicht auflösen – er bleibt das Material, der Ausdruck, der letzten Endes das Korsett für die Einzwängung der Freiheit stellt; Und damit nicht nur Bewegung, sondern vor allem Bewegtheit zum Vorschein bringt, als Wiederhall von Aktionen, die von der Bühne ins Publikum beben. Das ist die große Leistung Grubers, dass der Körper – nicht nur Material für eine Kunstfigur, sondern Kunstwerk selbst – sich dermaßen exponiert, dass aus der bloßen Darbietung ein wahrer Exzess wird – und damit die Körperlichkeit des Zuschauers selbst ins Wanken gerät.
Es ist also mehr Roadtrip durch die Venen, als intellektuelles Ping Pong: mehr „Körper“- denn Seelenstriptease, im wahrsten Sinne: Dieses Theater tut mit einem etwas, das sich nicht in herkömmliche Kategorien einteilen lässt. Es lässt einen aktiv werden, obgleich die äußere Form sich nicht zugunsten postdramatischen Interaktionsmustern freisetzt, sondern konventionell am dichten Szenenspiel vor dem Zuschauer festhält – und dabei umso mehr im Zuschauer ankommt: eine neue Ökonomie des Blickes, die Kunst der „Anschauung“. Es ist mehr inneres Aktiv-sein denn äußeres Zutun, dass durch Impulse auf der Bühne provoziert wird. Das Aktionstheater provoziert mit dem Schock als solchen, aber sicherlich nicht in surrealistischer Hinsicht, sondern viel subtiler: Es geht ihm ja schließlich auch um den Menschen, nicht um das Spiel.
Und der Mensch ist Aktion, Bewegung: Es kommt eben immer auf die Geste an.
Atmosphäre readymade
Es ist die Essenz des Erzählerischen, die sich in den Körpern der Darsteller, aber vor allem auch jenen der Zuschauer festsetzt: Erzählt wird mit Körper durch Sprache, und nicht umgekehrt. Was hier passiert ist ein diametraler Gegensatz von Sprechen und Handeln: Die Figuren beim Aktionstheater sprechen nicht, um zu überleben (wie bei Jelinek), sie überleben, damit sie sprechen – als einzige Verbindung zur Welt da draußen, die so viel abverlangt; und dabei hört doch niemand einander zu, weil sowieso jeder anders tickt. Sie sprechen unbändig, weil sie zu – und vor allem über sich selbst sprechen wollen. Wie man ist, so spricht man – vor allem zu sich selbst. Und dabei stellen sie eine gänzlich andere Wirklichkeit her, als der von der sie sprechen: Figur pur, sozusagen. Der Text stellt sich gegen das Bild, sehr oft – und das ist gut so: Wenn in den Redekaskaden zu geistigen Höhenflügen angesetzt wird, bleiben in der Gestik die niederen Triebe (verhaften) – Hier wird der Schluss vom Sein auf das Sollen als Trugschluss demaskiert, seine Unmöglichkeit zwischen Können und Wollen zur Schau gestellt.
Die Aktion ersetzt beim aktionstheater ensemble das Objekt, mehr noch: die Aktion wird zum Objekt, das in einem re-experiencing ein- und derselben Gefühlswelten immerzu aufs Gleiche hinausläuft: Die Unmöglichkeit, sich zu artikulieren, seinen geistigen und körperlichen Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen. Am Ende ist es doch immer der Schrei nach Anerkennung.
In diesem Sinne ist das aktionstheater ensemble expanded theatre, weil es sich einer Atmosphäre bedient, die im Eigentlichen bereits gemacht ist: Hier herrscht keine Notwendigkeit, Theater ins Hier und Jetzt zu holen, in sozialparasitäre Kontexte zu manövrieren – ihr Theater ist immer schon da, im Mikrokosmos des Privat-Interieurs, zwischen Zeigen-Wollen und Verschleiern-Müssen. Die Selbstverblendung des Einzelnen ist dabei das Objet trouvé im Allgemeinen, das als Momentum des Nebenbei schlussendlich state of the art wird –weil es ist ja Theater, und hier bleibt schließlich keine Situation ohne Ergebnis. Bis zu dem Punkt, an dem der szenische Apparat Effekte erzielt, die so ergebnislos sind, dass sich die Frage nach dem fiktiven Als Ob gar nicht mehr stellt: Es ist eben wie vor der eigenen Haustür, nur subkutaner. Weit mehr als „nur“ durch Experten des Alltags neben dramatischen Textflächen werden hier Realitäten skizziert, die wiederum ihre eigenen Fiktionen hervorbringen – und umgekehrt: Am Ende ist alles real.
Zeitgeist oder was?
Das aktionstheater ensemble macht Mode: Es ist keine. Regisseur Martin Gruber und Dramaturg Martin Ojster spielen ihre amour fou zu Tendenzen der Zukunft radikal aus – die detailverliebten Operateure der Wirklichkeit reproduzieren das Zusammenspiel von Subjekt, Geschlecht und Gesellschaft nicht am Puls der Zeit, sondern immer einen Schritt voraus. Ihr Kaleidoskop voller Kontraste im Wohnzimmer der Gesellschaft deutet auf Entwürfe, die erst im Begriff sind sich als Auswüchse entsprechender Zivilisations-Tableaus zu vergesellschaften. Durch die obligatorischen Bezüge zum Außen wird keine Welt als eigenständig behauptet, sondern das Tatsächliche als solches bespielt, zum Spielball happeningartiger Performance-Darbietungen: Hier entsteht ein Soziotop, das zwischen unendlichen Vorstellungen und endlichen Verwirklichungen einer Kultur pars pro toto steht, die sich selbst schon lange nicht mehr unter Kontrolle hat. Und dennoch sind Gruber/Ojsters Anti-Helden suchende Menschen, die das Menschsein noch nicht aufgegeben haben.
Darin liegt die wesentliche Stärke: Man könnte dieses Theater auch radikale Selbstbeobachtung nennen. Verhandlungen des Subjekts, die im Eigentlichen gar nicht verhandelbar sind. Und das aktionstheater ensemble, es wagt diesen Sprung: diesen Balanceakt zwischen röntgenisieren und portraitieren, ohne dabei zu moralisieren. Und vor allem: Ohne dabei an der vierten Wand, dem leeren einsamen Raum zwischen Publikum und Schauspielern zu scheitern – Hier macht das Publikum die Musik.
Im Affizieren von Zuständen, Evozieren von Empfindungen kommt das Theater an, ist immer schon da – als Aufruf zur Selbstfindung und dem Assoziieren zum Menschsein entsteht ein Theater, das in der Imitation von gesellschaftlichen Zuständen immer auch ihre Rehabilitation möglich macht ‐ oder wie Joseph Beuys es nennt: „Die einzig revolutionäre Kraft ist die Kraft der menschlichen Kreativität. Die einzig revolutionäre Kraft ist die Kunst.“(Maximilian Traxl)