31.01.2013,
20:00
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Palais Kabelwerk
Die Schauspielpatienten der Psychiatrie im AKH Wien zeigen diesmal ein Kunstprojekt über den Themenkomplex Traumatisierung. .
Fachlich begleitet und z.T. gespeist wurde die Produktion von einigen nahestehenden Psychiatern, Psychologen von TraumatherapeutInnen und von Seiten der Hirnforschung. Welch faszinierende Ergebnisse bei Zusammenarbeit von Wissenschaft und Kunst entstehen können, wird hier augenscheinlich.
Ergebnisse der aktuellen wissenschaftlichen Forschung werden derzeit allzu selten von der Kunst reflektiert. Wissenschaft und Kunst sind aber wichtige Hebel des inneren (und äußeren) menschlichen Forschritts. Insbesondere wenn es um den Diskurs von Abweichungen oder das Unbekannte generell geht.
"Selten gibt es diese atemlose Stille im Theater. Wenn sich das Publikum selbstvergessen, ganz dem Bühnengeschehen hingibt. Wie schon in der vorhergehenden Produktion, folgt das Publikum auch der Performance "TRAUMA !" mit höchster Aufmerksamkeit. Man spürt, dass die Schauspieler Rollen verkörpern, die kein Autor erdacht hat, die keine Bühnenfiguren sind, sondern lebende Zeitgenossen. Menschen die wir kennen könnten. - Und wir erkennen, dass auch wir Traumata erlebt haben. Wer kennt nicht Flashbacks aus seinem Leben. Prägende Erlebnisse, die sich gegen unseren Willen plötzlich wichtig machen und uns beherrschen.
Das ist wirklich stark - und trotz dieses Inhalts auch irgendwie poetisch und stellenweise sogar witzig - man ist amüsiert, aber dennoch auch alarmiert durch vorherige Nachrichten und theoretische Erwägungen. So bleibt etwas offen, in Schwebe, und in diesem Raum entsteht eine leise Beglückung "
Ernst A. Grandits/3sat-Kulturzeit
“Ich war nach den neunzig Minuten völlig perplex und glücklich! So etwas Schönes und gleichzeitig Gefährliches habe ich noch nicht am Theater erlebt.“
Dr. Erika A.
Regie: Jan Jedenak
Performance: Eva Linder, Katrin Kröncke, Judith Humer, Gabriela Hütter, Hagnot Elischka
Eine Produktion von Hagnot Elischka
Die Dramaturgie des Ensembles war während der Recherchearbeiten für “PSYCHIATRIE !“ auf Ergebnisse der Traumaforschung gestoßen, von denen sie zuvor kaum Kenntnis gehabt hatte. Es faszinierte, dass diese Erkrankung jedem Gesunden - aus dem normalen Leben heraus - widerfahren kann. Die Neugier diesem Thema gegenüber ließ sie auch später nicht los. Sie hatten mittlerweile erkannt, welche gesellschaftliche Wichtigkeit in diesem jungen Forschungszweig liegt - und es entstand der Gedanke, dieses neuerworbene Wissen als Kunstprojekt an die Öffentlichkeit zu bringen.
(Wir hatten zuvor die Produktion "PSYCHIATRIE!" erarbeitet, die es in der Folge bis zur NESTROY-Nominierung brachte.)
Die neue Produktion "TRAUMA!" stieß dann auf sehr starkes Publikumsinteresse.
Sie erzählt über Hirnforschung, Aspekte der Traumaforschung z.B. der “Posttraumatischen Belastungsstörung“, über Probleme der Kommunikation, über Mut im Alltag und generell über spezielle Extremsituationen des Lebens und deren Verarbeitung. Sie ist ein vehementer Versuch, dieses Krankheitsbild zu entstigmatisieren. Und sie zeigt, wie durch die Übersetzung in ein künstlerisches Medium, Realität begreifbarer werden kann.
Zwar sind seelische Verletzungen und ihre Folgen seit der Antike bekannt und werden seitdem von Literatur wie Wissenschaft als Krankheitsbild beschrieben. Trotzdem hat es bis 1980 gedauert, dass ein Resultat der umfassenden Erforschung seelischer Folgen bei Opfern militärischer, ziviler, privater Katastrophen im Regelwerk der Weltgesundheitsorganisation, ICD9, veröffentlicht werden konnte.
"Psychisches Trauma" ist zu verstehen als seelischer und sogar körperlicher Abdruck, den das Erlebnis in den Hirnstrukturen der betroffenen Person hinterlassen hat. Es entsteht nicht aus körperlicher oder genetischer Prädisposition wie die "normalen" psychischen Krankheiten.
Zu einer Traumatisierung kommt es, wenn ein Ereignis die psychischen Belastungsgrenzen des Individuums übersteigt und daher nicht mehr adäquat verarbeitet werden kann. Laut Traumatherapeuten handelt es sich um “die Reaktion von normalen Menschen auf eine unnormale Situation“.
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Frau T. hat Angst vor der Natur im Frühling. Frau N. berichtet, dass ein ganz bestimmtes Duftbäumchen ihr Angst macht. Was Sylvia E. behauptet, ist gelogen, ihre Großeltern und der pensionierte Richter wurden aus der Haft entlassen. Frau M. klettert monatelang über die Hinterhofmauer, weil sie das Haustor ihres Wohnhauses meiden muss. Frau A. fühlt sich schuldig, weil sie ihren Mann nicht schon früher verlassen hat. Frau Q. kann keine Jeans mehr anziehen und erträgt noch nicht einmal deren Anblick. Bruno S. stellt sich schon lange vor, seine Mitschüler und zwei Lehrer abzustechen. Frau R. fürchtet sich vor Bierdosen am Straßenrand. Katharina N. glaubt zu ersticken und hat so einen Druck auf den Augen.
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“Seit man sich mit den psychischen Folgen von Traumatisierungen beschäftigt, hat es immer wieder heftige Diskussionen darum gegeben, ob Patienten mit posttraumatischen Leiden Fürsorge verdienen oder Verachtung, ob sie wirklich leiden oder nur so tun, ob ihre Geschichten wahr oder erfunden sind, und wenn sie erfunden sind, ob sie einer Einbildung entspringen oder böswillig konstruiert wurden.
Die Symptome bei traumatisierten Menschen weisen auf die Existenz von Unaussprechlichem hin und lenken gleichzeitig davon ab. Durch diese Dialektik entstehen komplexe, manchmal unheimliche Bewusstseinsveränderungen.“
Judith Herman