05.05.2010,
20:00
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Schauspielhaus Wien
von Kevin Rittberger / Regie: Felicitas Brucker
URAUFFÜHRUNG
Premiere: 1. April 2010
Kassandra, die berühmte Seherin aus der griechischen Mythologie, deren Fluch es war, dass niemand ihren Prophezeiungen Glauben schenkte, bestärkt uns in unserem Hang zum Fatalismus, in der defätistischen Tendenz, uns der Verantwortung zu entziehen, mit dem Argument, „man könne ja sowieso nichts ausrichten“. Kevin Rittberger untersucht gemeinsam mit Felicitas Brucker die Frage, was für eine Rolle Kassandra und ihre Warnrufe in der heutigen Gesellschaft noch spielen könnten. Angesichts der Öko-, Finanz- und anderer Katastrophen ist jeder Einzelne von uns längst zu seiner eigenen Kassandra geworden, und wir gehen sehend und wissend in unseren Untergang. Und was wäre im umgekehrten Fall, wenn die Kassandra von heute etwas sehr Schönes voraussagte, wenn plötzlich alles gut würde? Wollten wir das glauben?
Kassandra ist sich selbst eine Nebenrolle. Da, seht, sie lacht, überlacht die Trauer: „Die glaubt mir keiner.“ Sie will es wissen, zuerst etwas ausdrücken: Kommt das Gefühl hinterher? „Glaube, Hoffnung, hab ich nicht im Urin.“ Verdinglicht ihre Hoffnung, Gallensteine, Trümmersteine, Gedenksteine. Sie geht ans Ende der Nacht, sehenden Auges: Wie klingt Schmerz im Dunkeln? „Da liegt eine große Spanne zwischen Ursache und Schadensfall.“ Sie macht eine Schmerzprobe. Wenn es nicht mehr weh tut, ist der Kopf schon tot. Oder das Herz? Atmest du nicht mehr, Kassandra? Mach einen Laut! Sie würde bestimmt nicht wollen, dass wir weiter orakeln, ohne etwas zu tun. (Kevin Rittberger)
Kassandra stellt für mich die Frage nach Fatalismus und steht zugleich für die Hoffnung, diesen überwinden zu können. Mich interessiert an diesem Mythos die Geschichte der Menschen, die aus ihrem Herkunftsland verschleppt werden, die flüchten und nun unter uns sind und deren einzige Perspektive die Katastrophe ist. Kevin Rittberger schreibt über diejenigen, die sich eines größeren Kontextes als dem ihrer Privatkosmen bewusst sind, damit kämpfen und mit beziehungsweise gegen Zeit und Geschichte spielen. (Felicitas Brucker)