Open Mind Festival 2013
„Befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“
14.-23.11.2013
„Und wenn alle anderen die von der Regierung und den Medien verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten –, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit.“ (George Orwell, 1984)
„Aletheia“ ist der griechische Terminus für Wahrheit. Er bedeutet laut Martin Heidegger Unvergessenheit, aus der Vergessenheit oder Verborgenheit entreißen, enthüllen. Für Friedrich Nietzsche ist Wahrheit überhaupt erst durch das Vergessen möglich: „Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind.“ (Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, 1873) Im heutigen Sprachgebrauch wird der Begriff in der Philosophie aber auch der Rechtssprechung oft mit „Rechtfertigung“ gleichgesetzt, während verschiedene Religionen die Wahrheit für sich beanspruchen, obwohl die Grundlage dafür nur Glaube und nicht Wissen ist. Die Frage nach der Definition von Wahrheit und die damit verbundenen Schwierigkeiten sind demnach so alt wie die Philosophie selbst; sie beherrschen die Theologie, die Kunst, die Wissenschaften und das alltägliche Leben. Das Fehlen eines universellen Wahrheitskriteriums erleichtert die Begriffsbestimmung auch nicht, sondern nährt eher den berechtigten Vorwurf, subjektives Konstrukt von Teilansichten zu sein.
Dass dem Wunsch nach Wahrheit auch nicht mit dem einfachen Dualismus der Lüge beizukommen ist, hat schon Adorno erkannt, ein Ausweichen auf die Ästhetik war seine Antwort. „Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“ (Minima Moralia – Reflexionen aus dem beschädigten Leben, 1951)
Kunst stellt eine Verdoppelung der Realität dar, die nicht als Wahrheit auftritt und gerade weil sie Schein ist, zerbricht der Schein an ihr. Um es mit den Worten von Pablo Picasso auszudrücken: „Wir wissen alle, dass Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können.“
Doch welche Wahrheit ist damit gemeint? Jene der Wahlversprechen, die der Geschichtsbücher, der Rechtssprechung, der Medien, des Konsum oder der Aktienkurse? Sind Kunst und Kultur nicht längst Teil einer Industrie, in der auch noch so hehre kritische Ansprüche zur Ware und damit zur Scheinwelt im individuellen Selbstdarstellungswettlauf verkommen? Wäre es nicht angemessener, die ehrliche Lüge zur neuen Wahrheit zu erklären? Oder alle Aussagen als wahr zu deklarieren, die Lüge abzuschaffen? Oder überhaupt kollektiv zu schweigen, um den Glauben an die Wahrheit nicht zu erschüttern?
Wahrheit scheint ein Ideal zu sein, das Fragen stellt und weniger Antworten gibt; etwas, dem man sich annähern kann und sollte, auch wenn die Kluft zwischen Theorie und Faktum unüberwindbar bleibt.
Das diesjährige Open Mind Festival „Befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“ bearbeitet einerseits mit künstlerischen und diskursiven Mitteln die Relevanz und Problematiken der Begriffe Wahrheit, Lüge, Kunst im gesellschaftlichen Kontext; andererseits wird vor allem in der Koproduktion mit o r t s z e i t und ihrem Stück „[archiv]“ der Blickwinkel auf die Entstehung von Wahrheit und Lüge durch das (Nicht-)Erzählen von Geschichte(n) gerichtet. Denn „Wer die Macht über die Geschichte hat, hat auch Macht über Gegenwart und Zukunft.“ (George Orwell, 1984)
Cornelia Anhaus, Festivalkuratorin
BLOG Open Mind Festival
Das fünfte Open Mind Festival (14.-23.11.2013) steht unter dem Motto „Befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“. Hintergrundinformationen zum Thema, Programm und KünstlerInnen finden Sie auf blog.openmindfestival.at
Programm Open Mind Festival 2013
14.11.o r t s z e i t [archiv]
15.11.Hans Unstern „The Great Hans Unstern Swindle“
16.11.„Paroli den Parolen!“ Argumentationstraining gegen Stammtischparolen
16.11.„Der Firmenhymnenhandel“
17.11.„erinnern, erzählen, vergessen“
19.11.Bavarian Taliban
20.11.o r t s z e i t [archiv]
21.11.o r t s z e i t [archiv]
22.11.„Fraktus“ – Der Film
23.11.„Poetry! Dead or Alive?“
23.11.KoenigLeopold