Der vielfach ausgezeichneten deutschen Schriftstellerin und Regisseurin Jenny Erpenbeck gelingt in ihrem jüngsten Roman Außergewöhnliches: In Aller Tage Abend, nominiert für den Deutschen Buchpreis 2012, macht sie die Tragödie des Einzelnen im Wahn & Sinn des 20. Jahrhunderts sichtbar. Erpenbeck lässt ihre Protagonistin in dem in fünf Abschnitte gegliederten Roman fünfmal sterben, um den Tod in so genannten „Intermezzi“ um seine Irreversibilität zu bringen; je ein Detail in der Bewegung der Heldin auf ihr verfrühtes Ableben zu wird mittels Konjunktiv nachjustiert, modifiziert, revidiert – ihr Tod somit viermal ungeschehen gemacht, um ihr einen anderen Lebens(ver)lauf zu ermöglichen. So endet die Vita der namenlosen jüdischen Heldin bereits nach acht Monaten erstmals tödlich: Sie stirbt 1902 an der Peripherie der k. u. k. Donaumonarchie im galizischen Brody, Geburtsort Joseph Roths und Zentrum jüdischer Schtetlkultur, den plötzlichen Kindstod, denn Aller Tage Abend erzählt auch die desaströse Geschichte des europäischen Judentums im 20. Jahrhundert entlang einer matriarchalen Linie: von antisemitischen Pogromen in Galizien über den Untergang der Monarchie, von fatalen Hungersnöten im Wien der 1920er-Jahre, von der Illegalität des kommunistischen Widerstands im aufkeimenden Faschismus, von trotzkistischen Utopien und stalinistischen Schauprozessen im Moskau der 1940er- und 1950er-Jahre, von politischem Terror und sibirischen Arbeitslagern, von der DDR-Nomenklatura und Schriftstellerkarrieren im Arbeiter- und Bauernstaat, bis hin zum finalen Kollaps des zur Diktatur pervertierten Ostblocks, zum Ende der DDR. Die großen gesellschaftlichen Utopien sind gescheitert, das Individuum zwischen Geworfensein und Eigenverantwortung zerrieben. Das Persönliche ist nie privat, sondern immer politisch. Felicitas Brucker, Hausregisseurin am Schauspielhaus, wird in der Bühnenfassung von Andreas Jungwirth nichts Geringeres als die Schicksalswege der menschlichen Existenz untersuchen.
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