Ein Tanzerinnerungsprojekt von Silke Bake und Peter Stamer mit 24 Choreograf_innen, Tänzer_innen und Performer_innen aus Wien: u.a. Milli Bitterli, Stephanie Cumming, Thomas Kasebacher, Barbara Kraus, Anna Mendelssohn, Amanda Piña, Frans Poelstra, Florian Tröbinger, Yosi Wanunu
Woran erinnern wir uns, wenn wir über Tanzaufführungen sprechen? Drei ChoreografInnen unterschiedlichen Alters und künstlerischen Stils erinnern sich an eine zeitgenössische Tanz-aufführung, die sie in den letzten 15 Jahren am Tanzquartier Wien gesehen haben. Mit geschlossenen Augen im Raum stehend, sich entsprechend der Erinnerung bewegend, erzählen sie diese erinnerte Aufführung dem Publikum – unter welchem sich jeweils eine ZeugIn befindet. Diese ZeugInnen folgen, gemeinsam mit den ZuschauerInnen, aufmerksam ihren Erzählungen, um dann in der nächsten Runde ihrerseits wiederzugeben, was sie unmittelbar zuvor gehört und gesehen haben. Auch diesen ZeugInnen und deren Nacher-zählungen sind andere ZeugInnen zugeordnet, die in der Folge wiederum das von ihnen Gehörte und Gesehene wiedergeben. Über vier Runden aus Erzählen, Zuhören, Wiedergeben und Nachmachen entsteht so nach dem Stille-Post-Prinzip ein neues Stück, von welchem anfänglich nicht die Rede war: weil es dieses so nie gegeben hat.
Wenn man über Tanzaufführungen spricht, sie einem dritten mitteilt, stellt man fest, dass die Sprache mit den Erfahrungen des Gesehenen nicht hinterherkommt. In der Kommunikation der Erinnerung des Stücks tauchen Sprachbilder auf, die das Erinnerte nicht nur anders rahmen, sondern diesem plötzlich eine andere Bedeutung geben, es neu entstehen lassen: Stücknacherzählungen, so scheint es, setzen Tanzaufführungen diskursiv auf solche Weise neu zusammen, dass die Beschreibung die eigentliche Erinnerung überschreibt. Das ver-sprachlichende Erinnern wird so zu einem generativen Verfahren eines Stückes, das so noch nie jemand gesehen hat: über welche Aufführungen sprechen wir dann eigentlich? Welcher Tanz wird hier erinnert? Und welcher Tanz wird nachgetanzt?
„Durch Vergessen, fantasievolles Hinzudichten und puren Zufall ändern sich Erzähl-Linien und Bewegungsqualitäten. Man kann folgern, dass es so viele Stücke gibt wie Zuschauer in
einem Raum. Und vermutlich so viele Möglichkeiten, Geschichte zu begreifen wie Menschen auf der Welt.“ (Eva-Maria Steinel, Mannheimer Morgen)