Amerling Haus Verein Kulturzentrum Spittelberg
„Ein Haus ist keine unveränderliche Tatsache, sondern ein lebendiges System.“
Isabella Reichert
Amerlinghaus
Text von Herbert Sburny 1997
Recht hat sie! Das ist auch am Beispiel Amerlinghaus zu zeigen. Seit mehr als 250 Jahren steht es nun schon am Spittelberg. Einkehrgasthof vor den Toren Wiens, Fuhrwerkhaus mit Roß im Stall, Handels- und Wohnhaus, in dem 1803 der Biedermeierporträtist Amerling geboren wurde und zuletzt, bis 1974/75 beherbergte es eine Klavierfabrik und eine Putzerei. Im Sommer 1975 wurde das in Gemeindebesitz befindliche, leerstehende und ziemlich desolate Haus besetzt. Leute aus der Nachbarschaft, StudentInnen, KünstlerInnen, SozialarbeiterInnen und Alternativgruppen forderten ein selbstverwaltetes, gefördertes Kultur- und Kommunikationszentrum von der Gemeinde Wien. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, hatten sie den Gegenstand ihrer Begierde gleich in Beschlag genommen. Einen Sommer lang lebten Haus und Hof auf. Fast täglich Kulturprogramm, Kinderbetreuung, Kommunikation zwischen den Generationen, zwischen Bevölkerung und AktivistInnen und PolitikerInnen sowie ein hervorragendes Medienecho waren die Folge. Im Herbst war eine grundsätzliche Einigung mit der damaligen Stadträtin Gertrude Sandner erzielt. Es vergingen noch dreieinhalb Jahre mit Hausrenovierung und Detailverhandlungen. Seit April 1979 gibt es uns in der jetzigen Form. Augenblick! Die Form verändert sich doch laufend! Wo ist die Trennung in Kinder-, Jugend- und Seniorenbereich geblieben? Wo die alternative Selbstverwaltung mit ihren monatlichen chaotischen Plena? Wo die erste Wiener Alternativschule? Wo dutzende Gruppen, wie z.B. der Republikanische Club, wo die AktivistInnen und Angestellten der ersten Stunde? Wo die Auftritte der Pioniere der Wiener Kabarettszene oder des Vienna Art Orchestra? Wo...? Die Liste könnte nahezu endlos fortgesetzt werden.
Und heute? Die Veränderungen im Amerlinghaus haben nicht isoliert oder mutwillig stattgefunden. Sie sind Ausdruck der Veränderung der Gesamtgesellschaft in unserem Land und die halten wir teilweise für gar nicht erfreulich. Auch 1979 stand nicht alles zum Besten in dieser Stadt, doch immerhin – dumpfe Ausländerfeindlichkeit und aggressiver Rassismus versteckten sich damals noch in Hinterzimmern und waren zumindest unter jungen Menschen absolut out. Die FPÖ war eine überalterte 5% Partei und „Überfremdung“ als Grund für massenhafte Abschiebung unbekannt. Wenn unsere Grenzen dicht waren, dann lag das an den Diktaturen im Osten und nicht an Schengen. Mit Liberalisierung war gemeint, daß Fünfzehnjährige nicht um 20 Uhr daheim sein müssen und sich öffentlich küssen dürfen, unter Privatisierung verstand man das Genießen von Urlaubstagen. Bekannt waren Geschenkpakete und Sparbücher, aber keine Sparpakete.
Was sich allerdings nicht geändert hat, ist die Notwendigkeit, gegen Unrecht, Dummheit, Vorurteile, Neid und rassistische Hetze aufzutreten, und unser Wille, dazu einen Beitrag zu leisten. Darum Haus der Kulturen. Weil es nicht nur eine Kultur gibt, sondern viele. Und weil sie gleich wertvoll und gleichberechtigt sind; wer das leugnet, der hat keine. Weil wir die vielfältigen Wurzeln zeigen wollen, die das Kulturleben in Österreich hat. Weil wir Platz für alle bieten wollen, zumindest ansatzweise, beispielhaft. Und weil wir sichtbar machen wollen, wie arm wir würden, wenn wir der rassistischen Propaganda auf den Leim gehen und eine „bodenständige“ Kultur anstreben würden.